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Martha, Mon Amour. Eine verlorene Liebe

Leseprobe

Martha, Mon Amour. Eine verlorene Liebe - Umschlagabbildung

Köln, August 1919

»Diese Studiererei ist doch nicht so wichtig, Kind«, sagte Amelia Schwind und warf Martha ein weiteres Hemd zu, das geflickt werden musste. »Die Zeiten sind zu hart für deine verrückten Ideen.«

Martha suchte den Leinenstoff nach Rissen ab, bevor sie die Nadel einfädelte. Es waren nur drei Löcher am rechten Ärmel, das hätte sie in einer halben Stunde erledigt und konnte dann noch für eine Weile mit ihrem Vater nach draußen gehen. Auch wenn er nicht mehr reden konnte, las sie in seinem Gesicht, wie wohl ihm die Sonne und das Lachen von spielenden Kindern im Volksgarten taten.

»Als Psychologin könnte ich mir eine Arbeit suchen, und das käme der ganzen Familie zugute«, beharrte Martha, während sie emsig zu stopfen begann. Früher waren ihr alle Handarbeiten verhasst gewesen, aber inzwischen wusste sie, wie beruhigend es für den Geist sein konnte, sich auf eine rein manuelle Tätigkeit zu konzentrieren.

Ihre Mutter seufzte und ließ die eigene Näharbeit für einen Moment sinken.

»Diese Flausen hat dir dein Vater in den Kopf gesetzt! Aber es wäre vernünftiger, dich nach einem Ehemann umzusehen, der dich versorgt. Den Luxus, ein studiertes Fräulein zu sein, kannst du dir einfach nicht mehr leisten.«

Der heftige Drang, ihre eigene Mutter mit der Nadel ins Fleisch zu stechen, erschreckte Martha. Früher war sie niemand gewesen, der langen Groll hegte oder zu böswilligen Gedanken neigte. Hatte dieser große Krieg nicht nur aus Männern Krüppel gemacht, sondern auch die Psyche vieler Frauen krank werden lassen?

Sie atmete tief durch.

»Mein Bräutigam lebt nicht mehr«, stellte sie so gefasst wie möglich fest, obwohl ihre Stimme heiser wurde. »Das weißt du.«

Die Nachricht war bereits kurz nach Beginn des Krieges eingetroffen, als Martha noch voller Hoffnung gewesen war, das ganze Spektakel fände bald ein Ende und Harald würde unversehrt und voller Tatendrang zu ihr zurückkehren. Wie schnell und unangekündigt das Leben menschliche Träume in Scherben hauen konnte, hatte sie dann sehr bald lernen müssen. Harald war für immer aus ihrer Welt verschwunden, ohne dass sie einen Tag zu zweit allein hätten verbringen dürfen. Nun wurde ihr zweiter großer Wunsch vom Tisch gefegt.

»Es tut mir leid«, flüsterte die Mutter zu ihrem Erstaunen. »Ich hätte das nicht so sagen dürfen, aber weißt du, Harald hätte nicht gewollt, dass du dich für immer in der Trauer vergräbst.«

Nein, das hätte er nicht. Er hätte sich gewünscht, dass Martha ihr Studium abschloss, denn er war stolz darauf gewesen, wie hartnäckig sie dieses Ziel verfolgt hatte. Ganz sicher hätte er ihr keinen anderen Mann gewünscht, den sie selbst nicht wollte.

Mit dem Handrücken wischte sie sich schnell die Augen trocken. Die Mutter meinte es nicht böse. Ihre Zunge war von Natur aus ein Reibeisen.

»Entschuldige mich bitte, ich mache das später fertig«, murmelte Martha nur und legte das zu flickende Hemd zur Seite. Sie würde zur Not auf das Abendessen verzichten und stattdessen weiterarbeiten. Bevor die Mutter einen Einwand erheben konnte, lief sie aus dem Zimmer.

Inzwischen hatte sie Übung darin, den Vater in seinen Rollstuhl zu heben. Es ging ihm in den letzten Wochen besser, und sie konnte spüren, dass er sich bemühte mitzuhelfen. Martha zog ihm die Schuhe an und setzte ihm einen Hut auf, damit er vor der Sonne geschützt war. Dann schob sie ihn durch den Hausflur ins Freie.

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