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Sturm über Formosa

Leseprobe

Sturm über Formosa - Umschlagabbildung

Rotterdam, März 1659

„Diese Töpfe sind niemals einen Gulden wert“, rief Griet und wies auf ein paar Unebenheiten an der Oberfläche. „Hier hat jemand einen Sprung zugespachtelt. Nicht besonders geschickt, würde ich sagen.“

Sie richtete einen erwartungsvollen Blick auf Johanna, die Magd ihrer Eltern, die hier eigentlich verhandeln sollte. Doch während die Händlerin ein grimmiges Gesicht zog, sah Johanna verlegen zu Boden. Sie war nett, aber als Geschäftsfrau taugte sie nicht besonders viel, befand Griet.

„Wir zahlen einen halben Gulden. Oder wir nehmen noch die Messer mit“, erklärte sie der Händlerin, die zwar nicht begeistert aussah, aber nach kurzem Zögern nickte.

„Ganz schön forsch ist die junge Dame“, knurrte sie nur, während sie die Waren in eine Kiste packte. Johanna wies den Hausdiener an, die Last auf den Karren zu laden, und überreichte der Frau den Gulden.

„Der Kaufmann, der dich zur Ehefrau bekommt, macht einen großen Gewinn“, stellte Johanna fest und schlenderte zum nächsten Verkaufsstand, der Stoffe und Spitze anbot. Griet folgte ihr zufrieden. Anders als Johanna machte sie sich nicht viel aus schöner Kleidung, aber die eben gesprochenen Worte hatten ihr gefallen. Je älter sie wurde, desto seltener kam es vor, dass irgendjemand sie lobte. Deshalb war sie auch bereit, still dazustehen, während Johanna ihre Hände über Brokat und Seide gleiten ließ, so zärtlich, wie Griet nur ihre Lieblingskatze streichelte. Ein verzücktes Lächeln umspielte Johannas Lippen.

„Wenn du eines Tages heiratest, wirst du ein Kleid aus solchen Stoffen tragen dürfen“, meinte sie zu Griet. „Davon können viele Mädchen nur träumen.“

Griet selbst träumte aber nicht davon. Die Töchter angesehener Kaufleute sollten den Mann nehmen, den die Eltern für sie ausgesucht hatten und sahen dabei keineswegs immer so glücklich aus wie Johanna, wenn sie schöne Stoffe befühlte.

Die Vorstellung, dass dieses Schicksal in den nächsten Jahren auch sie ereilen könnte, verbannte Griet energisch aus ihrem Denken. Bisher war es ihr immer irgendwie gelungen, die Dinge so zu wenden, dass sie ihren Vorstellungen entsprachen.

Griet liebte die Tage, die sie Johanna auf dem Markt begleiten durfte, weil ihre Mutter mit den Geschäftsbüchern beschäftigt war. Inzwischen achtete Anneke Verhoeven darauf, dass die Tochter nicht mehr allein mit ihrem Lieblingsbruder Ruben herumtollte, weil sie zu einer jungen Dame herangewachsen war. Doch auf dem Markt war Griet sicher vor den Adleraugen ihrer Mutter, konnte den Duft exotischer Gewürze einatmen, der nach fernen Ländern schmeckte, mit gewöhnlichen Leuten schubsen, schreien und feilschen. Darauf verstand sie sich, auch wenn sie nur selten dafür gelobt wurde.

„Wenn meine Hochzeit vorbei ist, werde ich dir mein Kleid schenken“, versprach sie Johanna großzügig. Irgendjemand sollte doch Freude an diesem Tand haben! Tatsächlich lächelte die Magd und strich ihr dankbar über den Stoff der Haube.

„Dein Mann wird entscheiden, was mit dem Kleid geschieht“, meinte sie nur.

Griet scharrte verärgert mit dem Schuh auf dem Boden. Jemand hatte schmutziges Wasser ausgeschüttet, sodass ein paar Tropfen Griets Strümpfe besudelten.

„Ich werde einen Mann finden, der meine Meinung anerkennt“, erwiderte sie. Johanna runzelte kurz die Stirn.

„Der dürfte für dich schwerer zu bekommen sein als ein schönes Hochzeitskleid“, stellte sie fest.

„Warten wir einfach ab, was geschieht“, wandte Griet ein und beschloss, das Thema zu wechseln. „Was sollen wir noch mitbringen?“

Johanna erklärte, dass sie Salz, Koriander und Zimt für die Köchin holen sollte. Sie drängelten sich gemeinsam zu der Ecke des Marktes, wo die Gewürzhändler standen. Griet überlegte, wo genau sie kürzlich den kleinen, dunkelhäutigen Mann gesehen hatte, der ausnehmend günstige Preise anbot, wenn man größere Mengen verschiedener Kräuter erwarb. Vielleicht konnte sie ihm Hoffnungen machen, regelmäßig wiederzukommen, und bekäme dann ein besonders gutes Angebot.

Auf einmal rempelte Jan, der ihre Einkäufe schleppte, sie von hinten an. Griet wandte sich verärgert um und sah, wie zwei junge Männer an Jan vorbeisprangen. Einer von ihnen stieß Griet weg, der andere riss den Beutel aus Johannas Hand.

Die Magd stand mit offenem Mund da, während er mit seiner Beute davonrannte. Jan fluchte, weil die Kiste von dem kleinen Karren gefallen war, den er schob.

„Haltet den Dieb!“, plärrte Griet in die Menge hinein, doch nur ein paar Menschen wandten sich um und sie vernahm ein wenig Gekicher.

„Man muss hier besser auf sein Hab und Gut aufpassen“, wurden sie von einer älteren Frau belehrt, deren Haubenform an die Ohren eines Affen erinnerte. „In der Menge kann jeder leicht untertauchen. Was einmal weg ist, sieht man nicht wieder. Also immer die Augen offenhalten, anstatt von hübschen Burschen zu träumen, mijn juffrouw.”

Sie warf Griet einen allwissenden Blick zu und grinste. Griet wusste nicht, ob sie widersprechen oder besser schweigen sollte. Bevor sie sich entschieden hatte, war auch die Frau im allgemeinen Gewühl untergetaucht. Griet sah sich kurz um, doch statt der merkwürdigen Haube erblickte sie auf einmal das grüne Wams des Diebes neben dem Fass eines Bierbrauers, das nicht einmal besonders weit entfernt war. Auch er musste damit gerechnet haben, unsichtbar zu sein, wenn er sich nicht mehr in unmittelbarer Nähe befand. Johannas Beutel hatte er achtlos an seinen Gürtel gehängt, während er genüsslich einen Humpen Bier trank.

Soviel dreiste Dummheit musste ausgenutzt werden, beschloss Griet ohne Zögern. Sie packte eines der neu gekauften Messer, das nun auf dem Boden lag, und stieß rücksichtslos die Umstehenden zur Seite, um möglichst schnell voran zu kommen. Der Dieb wurde ihrer leider gewahr, bevor sie ihn erreicht hatte, grinste sie frech an und begann, sich ebenfalls durch die Menge zu schubsen. Griet vernahm Johannas besorgte Stimme, die sie aufforderte, zurückzukommen, hörte aber nicht darauf. Es konnte ja endlich einmal sein Gutes haben, dass ihr Bruder Ruben ihr beigebracht hatte, sich zu prügeln.

Das grüne Wams erwies sich als Segen, denn es stach inmitten der hauptsächlich dunklen Kleidung der Marktbesucher immer wieder hervor. Griet konnte den Dieb bis ans Ende des Marktplatzes verfolgen und sah, in welche Straße er abbog. Ihre Schuhe platschten erneut durch Pfützen, während sie ihre Jagd fortsetzte. Inzwischen war ihr ganzes Kleid befleckt, aber sie hatte genug andere und Johanna bekäme es schon wieder sauber. Der Dieb war in eine halb verfallene Hütte gerannt. Griet sauste ebenfalls hinein.

Dann stand er plötzlich seelenruhig vor ihr. Ein junger Mann von vielleicht zwanzig Jahren, so alt wie Ruben. Sein Gesicht war eingefallen, die Augen wirkten verquollen. Auch das kannte Griet von ihren Brüdern, die gern Bier und Schnaps tranken.

„Was jetzt, Mädchen? Willst du mich verhauen?“

Er zeigte ein paar Zahnlücken, als er sie frech angrinste. Griet verspürte den Wunsch, ihm sein überhebliches Lächeln vom Gesicht zu kratzen.

„Gib mir einfach den Beutel wieder und ich gehe, ohne dass du Schwierigkeiten bekommst“, bot sie an. Er begann schallend zu lachen.

„Ich mache mir vor Angst gleich in die Hose, Mädchen! Verschwinde besser, damit dir nichts geschieht.“

Griet schluckte ihre Wut runter und zwang sich nachzudenken. Tatsächlich war sie zu weit vom Marktplatz entfernt, um einen der Aufseher herbeirufen zu können. Das hätte sie gleich machen sollen, anstatt dem Dieb hinterherzurennen; nun war es zu spät. Aber sie war nicht willens, jetzt kampflos aufzugeben. Sie hob ihr Messer.

„Damit kann ich verdammt gut umgehen“, verkündete sie. „Wenn ich es werfe, verletze ich dich.“

„Tatsächlich? Dann lass mal sehen!“

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